Weg nach Laos

 

Der Aufenthalt in Vietnam neigt sich seinem Ende zu. Als nächstes Ziel steht Laos auf dem Plan. Von Laos habe ich große Erwartungen. Allen Erzählungen nach sollte es im völligen Kontrast zum westlichen Leben bei uns in Europa stehen und im Grunde ist es ja genau das, was ich versuche zu finden. Da ich ungern mein Moped, die Shadow, wieder abgeben möchte, versuche ich einen Grenzübergang zu finden, bei dem die Mitnahme von unregistrierten und unversicherten Motorrädern nicht übermäßig dramatisiert wird. Das Internet hilft hierbei sehr und binnen kurzer Recherche ergeben sich gleich mehrere Möglichkeiten. Die aus den Texten sicherste Variante wäre der Grenzübergang in Nam Can. Nam Can liegt im Truong Son Gebirge welches Vietnam von Laos trennt. Von Hanoi aus sind es rund 500 Kilometer bis dorthin. Für mich bedeutet dies zwei Übernachtungen, da ich jeden Tag nur etwa 250 Kilometer schaffen werde und wenn möglich an einem Vormittag nach Laos einreisen möchte. Laut google maps würde der schnellste Weg entlang der vietnamesischen Küste dorthin führen. Mit „schnell“ impliziere ich jedoch eher Stress und Gefahrenpotenzial für mich, denn auch wenn es anderen gelingt auf dieser Straße schnell zu fahren, wird die Shadow auch hier bloß wieder mit 40 bis 50 Km/h im Schnitt vor sich hin tuckern. Ich entscheide mich eine kleine Straße im Landesinneren zu fahren, die passender Weise den Namen Ho Chi Minh Road trägt. Mein voreiliges geschichtliches Freudengefühl auf dem legendären Ho Chi Minh Pfad nach Laos einzureisen wird dann aber doch gedämpft. Der Ho Chi Minh Pfad verläuft an einer anderen Stelle, jedoch nicht weit weg und annähernd parallel. Auch habe ich jedoch gelesen, dass der ursprüngliche Ho Chi Minh Pfad nicht sonderlich gut ausgebaut sein soll. Ziel war es ja zur damaligen Zeit die Nachschübe von Nordvietnam nach Südvietnam nicht möglichst komfortabel zu transportieren, sondern möglichst unentdeckt. Da meine restliche Zeit mir leider keinerlei Spielräume für Experimente erlaubt, beschließe ich den Ho Chi Minh Pfad Pfad sein zu lassen und mich eher dem Road zuzuwenden. Na dann Los.

Der Weg aus Hanoi ist gewohnt hektisch. Überall wird gehupt und Mopeds quetschen sich in noch so kleine Lücken, jedes Mal riskierend von Autos angefahren zu werden oder wenigstens das kleine Kind zu verlieren, dass bei vielen Fahrern ungesichert auf dem Schoß sitz.

Die Taktik mit dem weniger stark befahrenen Ho Chi Minh Road geht auf. Hanoi liegt inzwischen einige Kilometer hinter mir und häufig habe ich die Straße völlig für mich alleine. Hier und da kommen ramponierte LKWs, überladene Transporter oder fünfköpfige Familien auf einem Motorroller gequetscht vorbei, aber alles völlig entspannt im Vergleich zum Weg nach Ha Long. Allmählich gelange ich nun auch in die Ausläufer des Truong Son Gebirges. Die ganze Szenerie ist absolut beeindrucken. Alles passt. Berge, Licht, Leute. Bis dahin auf jeden Fall die schönste Tourenstrecke, die sich mir ergeben hat. Mit einem stätig anhaltenden Grinsen im Gesicht ziehe ich Kilometer für Kilometer herunter. Gelegentlich muss ich mich zwingen anzuhalten, etwas zu trinken und wenigstens die der permanenten Sonne ausgesetzten Oberschenkel etwas einzucremen. Dann hat mich die Straße jedoch meist schnell wieder und weiter ziehe ich als personifiziertes Glücksgefühl durch die Lande. Einen Wehrmutstropfen gibt es jedoch. Umso mehr ich mich in die Schönheit der Natur vertiefe, umso lauter wird ein Ausspruch in meinem Kopf. „DAMN YOU, AMERICA!!!“. Das Land das sich mir links und rechts so wunderschön eröffnet und in Europa für Trecking Fans ein Paradies darstellen würde, ist in Wahrheit eher gefährlich als schön. In den Wäldern liegen nach wie vor unzählige Bomben und viele Gewässer sind auch nach Jahrzenten immer noch durch das Entlaubungsmittel Agent Orange konterminiert. Die Folgen dieser militärisch kurzsichtigen Katastrophe sind auch heute noch präsent. Noch immer gebären Frauen schwerstbehinderte Kinder, weil sie über Jahre Fisch und Wasser aus verseuchten Gewässern zu sich genommen haben. So zieht es an mir vorbei, das geschundene Paradies und mich umgibt ein Gefühl der Bewunderung und Zorn.

Die erste Nacht kündigt sich an und ich beginne nach Hotels oder Pensionen ausschau zu halten. Die Anzahl der größeren Orte auf dieser Strecke ist grob gesagt sehr übersichtlich, es gibt kaum welche. Dementsprechend rar sind auch Pensionen. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit passiere ich ein Grundstück mit dem Schild „Hotel, free Wifi“. Ich zögere kurz, drehe um und fahre auf das Grundstück. Der Garten sieht aus wie eine Parkanlage. Alles gepflegt und nachts stilvoll ausgeleuchtet. Im Empfang sitzt eine uniformierte Frau hinter dem Tresen. Sie lächelt, spricht jedoch kein einziges Wort Englisch. Mit Händen und Füßen und mit Hilfe von google übersetzten Sätzen mache ich ihr klar, dass ich eine Nacht bleiben möchte und die Übersetzung ergibt, dass die Nacht 10 Euro kosten würde. Man kann die Zimmer auch Stundenweise mieten, was mir einen Aufschluss gibt, welche Leute sonst hier beherbergt werden. Mir wird eins der Zimmer gezeigt und ich willige ein. Draußen ist es inzwischen Stock finster und auf eine weitere Suche habe ich keinen Bock mehr. Beim Empfang muss ich meinen Pass abgeben. Den Originalen. Auch bekomme ich keinen Schlüssel für das Zimmer ausgehändigt. Ich muss das Zimmer also ab und wieder aufschließen lassen, wenn ich es verlasse. Ich setzte mich in den Garten, trinke ein Bier und beginne Bilder zu bearbeiten. Es fahren ab und an Autos auf das Grundstück, Leute, die wie ich auch ein Zimmer suchen. Viele fahren wieder weiter. Auch wenn dies eines der besten Zimmer ist, die ich bisher in Vietnam hatte, fühle ich mich hier nicht wohl. Irgendetwas stimmt mit diesem Laden nicht. Als ich wieder hereingehe, hält mich die Frau hinter dem Tresen an. Die Ausscheckzeit von 11 Uhr ginge bei mir nicht. Ich müsse morgen schon spätestens um acht das Haus verlassen. Den Versuch mir zeitaufwendig erklären zu lassen weshalb das so notwendig ist, klemme ich mir. Ich hatte eh nicht vor viel später hier zu verschwinden und eigentlich interessiert es mich auch nicht. Hauptsache am nächsten Morgen sitzt jemand vor acht hinter dem Tresen, der mir meinen Ausweis wiedergibt. Mit spontanen Durst auf noch ein Bier, lasse ich mir mein Zimmer aufschließen.

Am nächsten Morgen verlasse ich um sieben das Hotel. 200 Kilometer, also etwa fünf Stunden Mopedfahrt stehen wieder auf dem Programm. Klingt nach einem entspannten Tag. Der Ausweis stellte beim Ausschecken glücklicher Weise kein Problem dar. Zwar war ich letztendlich dann doch nicht der einzige Gast im Hotel, jedoch der Einzige, dessen Ausweis im Empfangsbuch lag. Ich verschwinde. Die Straße hat mich wieder. Nach einigen Kilometern halte ich in einem kleinen Dorf. Eine Frau hat am Straßenrand einen mobilen Stand aufgebaut und mein Blick erhascht Baguettes. Wo auch immer diese hier gebacken werden, sie sind frisch und ich lasse mich etwa einen Kilometer später nieder und frühstücke für wenigstens eine Stunde. Heute stresst mich nichts. Gemütlich gleite ich die Kilometer entlang. Halte hier und dort um Fotos zu schießen und erfreue mich, als ich in einem Dorf eine Hand voll IFA W50 LKWs stehen sehe. Mein Papa würde sich unglaublich freuen, wenn er jetzt hier wäre und wüsste sicherlich auch gleich eine kleine Anekdote zu erzählen.

Ich gelange zum letzten großen Ort vor der Grenze. Es ist inzwischen nachmittags und die Grenze ist von hier aus etwa 80 Kilometer entfernt. Ich kehre im erst größeren Hotel ein. Der Parkplatz ist noch recht leer. Das Personal spricht hier glücklicher weise etwas Englisch, so ist es sehr viel einfacher nach einem Zimmer zu fragen. Das Zimmer ist jedoch eine Katastrophe. Ich brauche es nicht besonders schick und vor allem brauche keinen Fernseher, jedoch mag ich keine verqualmten Räume. Das Zimmer riecht als hätte Helmut Schmidt hier die letzten Wochen seines Lebens verbracht und auch noch einige danach. Ich öffne sofort die Fenster und verschwinde in die Stadt auf der Suche nach etwas zu essen. In einer kleinen einkehre werde ich fündig. Die gute Frau hört gar nicht auf mir weitere Sachen auf den Tisch zu stellen. Ich habe wirklich mühe mit den Massen, schaffe aber fast alles. Das erste Mal denke ich darüber nach, ob es in Vietnam eigentlich unhöflich ist alles aufzuessen, oder nicht. Heute habe ich jedenfalls nicht alles geschafft. Ich kehre zum Hotel zurück. Der große Parkplatz ist nun brechend voll und überall springen Leute herum. Am Straßenrand positionieren sich auch schon die ersten Prostituierten. Ich gehe auf mein Zimmer. Das Lüften hat keine Veränderung bewirken können. Das Zimmer riecht immer noch entsetzlich. Ich gehe zur Rezeption und frage nach einem anderen Zimmer. Komischer Weise habe ich das Gefühl, dass diese Sache mir unangenehmer ist als dem Pförtner. Das neue Zimmer ist super. Ich freue mich und gehe duschen.

 

Am nächsten Morgen geht es ins Gebirge. Die Straße schlängelt sich zunächst lange am Nâm Mô Fluss entlang. Das Panorama ist gewaltig. Nach und nach beginnen die Serpentinen. Die Shadow müht sich, Berge sind nicht ihr Ding. Der letzte Ölwechsel ist auch schon wieder knapp 500 Kilometer her. Ich hoffe, dass die Hitze im Motor und die inzwischen schwarze Pampe, die den Zylinder schmieren soll auf einen glücklichen Nenner kommen. Langsam aber stetig windet sich die Shadow die Berge hinauf. Der Grenzübergang liegt 1000m höher als der Fluss. Nach drei Stunden Fahrt durch eine atemberaubende Landschaft gelange ich am Grenzübergang an. Vor dem Vietnamesischen Kontrollposten steht einer der Grenzbeamten und winkt mich lächelnd zu sich herein. Den Trick mit dem Verheimlichen des Mopeds kann ich mir jetzt schon einmal abschminken. Schnell macht er mir klar, dass das Moped ein Problem darstellt und ich es nicht mit nach Laos nehmen könne. Das Gesetzt verbietet es. Er geht weg. Nach einer Weile kommt er wieder und sagt er hätte einen Freund in Laos und wenn ich 50$ Zahle, könnte ich das Moped mitnehmen. Ich versuche zu verhandeln und den Preis zu drücken. Der Grenzer verschwindet für drei Sekunden angeblich telefonierend hinter einer Ecke und kommt augenblicklich wieder aus dieser hervor mit der Aussage, dass sein bekannter sagt 80$. Am liebsten hätte ich mir die Wahlwiederholung zeigen lassen, so schnell kann kein Mensch telefonieren. Ich versuche nochmals zu verhandeln, doch der Grenzer weiß genau, dass mir die Hände gebunden sind und ich hier nicht irgendwo im nirgendwo das Moped zurücklassen werde. Sichtlich frustriert willige ich ein und bezahle die 80$. Erste Hürde genommen, ab zur Einreise nach Laos. Meine Erwartungen, dass diese über mein Moped Bescheid wissen und Teil des Schmiergeldkomplotts sind erfüllt sich nicht. Die Laotischen Grenzbeamten sind sichtbar irritiert, als ich mit dem Moped vorfahre. Auf Nachfrage händige ich die Fahrzeugpapiere aus, oder zumindest das, was als solches zu dem Moped gehört. Die laotischen Grenzer gucken mich verwundert an und fragen ob das alles wäre. Ich „jap“. Nach viel Getuschel und Ratlosigkeit und dem Versprechen, dass ich mit dem Moped wieder aus Laos ausreisen werde und es zurück nach Vietnam bringe, darf ich einreisen. Ohne Bestechung und ohne Registrierung habe ich die Shadow nun in Laos. Ich fahre beherrscht außer Sichtweite der Grenzer und fange an freudig vor mich her zu schreien. Ein riesen Stein ist von meinen Schultern gefallen, ich bin in Laos, mit dem Bike!